Das HANDVOKABULAR von Eva-Maria Schön resultiert aus einer Ökonomie künstlerischen Gestaltens. Wir sehen die sensomotorische Spur ihrer Hand, die auf der glatten Oberfläche eines Kartons verdünnte dunkle Farbe aufgetragen hat. Nicht spontan gestisch, sondern einer Bewegungspartitur gehorchend, die die Künstlerin festgelegt hat:
`Der ganze Zeigefinger dreht sich halb um seinen Ballen, dann setzt die Zeigefingerspitze auf, und der Handballen dreht sich um die Spitze, dann dreht sich auch der Zeigefinger wieder um den Ballen.´ Richtung, Kraft, Geschwindigkeit und Zeit sind die Parameter dieses Vorgangs. Sichtbar wird das bildliche Echo, eine seismografische Aufzeichnung, in der sich der wechselnde Druck der Hand auf die Farbe,ein spontanes Verharren und rasches Wischen, jene stockend-fließende Rhythmik der Bewegung, die körpereigene Vibration und die individuelle Beschaffenheit des organischen Werkzeugs, der Hand, unmittelbar manifestiert. Das Geschehen tritt durch die Form in Erscheinung. Die Form gewinnt durch den Wechsel von dichten dunklen und grautonig transparenten Farbzonen eine biomorphe Körperhaftigkeit, die aus der Handlungsaufzeichnung erwächst.
Was unternimmt Eva-Maria Schön, wenn sie ansetzt? Mit minimalen Mitteln hebt sie sich aus dem Kontinuum der Zeit heraus. Sie stellt eine eigne Zeitsituation her und gibt Raum für Abläufe. Die Abläufe streben gegen nichts als die Klarheit des Verlaufs selbst. Bei aller Offenheit sind sie hochgradig kontrolliert, terminiert, in dem Sinne, wie ein Singen oder Sprechen einer rhythmischen Organisation bedürfen.
Im Verhältnis zur Bild- und Sprachwelt der Metaphern und Assoziationen stellen sie aber zunächst Leerstellen her, Auslassungen. Die Spur, die sie zieht, hält den größtmöglichen Abstand zur persönlichen Ausdrucksspur. In dieser Hinsicht enthält sie sich der Sprache. Es ist also denkbar, dass Schöns Sequenzen ganz in der Verlaufsform aufgehen, allerdings unter präzisesten Bedingungen. Sie sind Infinitive, die mit dem letzten, nur noch schwach aufschimmernden Buchstaben enden und ebenso unerwartet wieder beginnen.
Sie will nichts vertuschen. Während des Abdrucks liegen Kuppe, Hand oder Finger auf. Dann beginnt dieses ‚Wegziehen’ vom Ausgangspunkt. Dazwischen ein Innehalten. Wenn Schöns Hand anhält, stehen bleibt, unterbricht, zeichnen sich Ränder ab. Intervalle bilden sich, die wie Gelenke die Glieder miteinander verbinden.
Meine Hand ist motorisch. Sie will ihre Bewegungen wiederholen und variieren. Mit Hilfe meiner Finger habe ich versucht, diese Bewegungen als Abdruck aufzuzeichnen. Die beinahe gleiche Fingerbewegung schafft, zweimal auf das Papier mit Tusche gedrückt, zwei Aufzeichnungen - Zeichnungen, die große Ähnlichkeit aufweisen, aber nie gleich sind. Wenn die Hand den Spachtel als Werkzeug ergreift, verwandelt sich der Abdruck zu einem verbreiterten Strich. Hintereinander habe ich links und rechts meine Bewegungen mit dem Spachtel wiederholt - in der Hand liegt die Lebendigkeit, in der Farbmischung der Zufall. Der Spachtel drückt die Farbe anders ab, liegen auch nur Sekunden dazwischen. Je ähnlicher die beiden Bewegungsabdrücke sind, je mehr wird man beim Betrachten die subtilen Unterschiede entdecken. Das Auge vergleicht, indem es von einem Stück auf das andere blickt.